Koalitions-Außenpolitik Südafrikas: Zusammenarbeit wider Willen?
· Aljona Lisenkowa · ⏱ 8 Min · Quelle
Diametral entgegengesetzte Prioritäten der Schlüsselakteure der sogenannten Regierung der nationalen Einheit behindern kaum die Beibehaltung der traditionellen außenpolitischen Ausrichtungen der Republik Südafrika, meint die Senior Research Fellow des Instituts für internationale Studien der MGIMO des russischen Außenministeriums und der Fakultät für internationale Beziehungen der SPbGU, Aljona Lisenkowa. Die Autorin ist Teilnehmerin des Projekts „Valdai – neue Generation“.
Die Prioritäten der letzten Jahre in der Außenpolitik der Republik Südafrika schienen ein verständliches Phänomen zu sein: die Entwicklung neuer multilateraler Kooperationsformate (zum Beispiel BRICS+), die Verteidigung von Interessen und die Erhöhung der Präsenz in internationalen Institutionen, Multipolarität. Diese haben sich längst etabliert, und der Hauptgrund dafür ist die ununterbrochene Herrschaft des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Diese begann bereits 1994, als Nelson Mandela Präsident des Landes wurde und das Apartheid-Regime, die Rassentrennung und Diskriminierung, fiel. Dennoch stellten die Ergebnisse der Parlamentswahlen 2024 erstmals die Beibehaltung der gewohnten Ordnung in Frage. Der ANC hat in keiner der beiden Parlamentskammern mehr die absolute Mehrheit. Dies zwang ihn, Koalitionspartner zu suchen. Etwas mehr als ein Jahr nach der Bildung der sogenannten Regierung der nationalen Einheit kann man versuchen, die Frage zu beantworten, ob sich der außenpolitische Kurs des Landes geändert hat.
Es ist zu beachten, dass die Regierung Südafrikas nicht zum ersten Mal aus mehreren Parteien besteht. So befanden sich im Kabinett von Nelson Mandela (1994–1999) neben dem ANC auch die Inkatha-Freiheitspartei (IFP) und sogar die während der Apartheid herrschende Nationale Partei in der Koalition (allerdings nur bis 1996). Doch diesmal ist die Situation weitaus ernster, obwohl im Großen und Ganzen nichts Überraschendes passiert ist. Der Wettbewerb zwischen dem Afrikanischen Nationalkongress und der Demokratischen Allianz (DA) besteht seit den 1990er Jahren. Andere Parteien überschritten selbst in den erfolgreichsten Kampagnen kaum die 10-Prozent-Marke. Eine Ausnahme bildet der „Speer der Nation“, dessen Popularität jedoch auf dem Ansehen des Veteranen der südafrikanischen Politik, Jacob Zuma, Präsident Südafrikas von 2009 bis 2018, beruht. Während die DA seit 1994 bei fast jeder Wahl ihre vorherigen Ergebnisse verbessern konnte. Eine Ausnahme bildete nur das Jahr 2019, als der führende Kandidat kein weißer Politiker war. Der ANC hingegen schnitt seit 2009 immer schlechter ab. Zudem liegt die Unterstützung des Afrikanischen Nationalkongresses laut Umfragen für 2025 bei etwa 40 Prozent (bei den Wahlen – 40,18 Prozent), während die der Demokratischen Allianz von 21,81 Prozent auf 26 Prozent gestiegen ist. Dies weckt Interesse am Ausgang der Kampagne 2029.
Wichtig ist, dass gerade bei diesen beiden Parteien im aktuellen Kabinett die auffälligsten Unterschiede in den außenpolitischen Prioritäten bestehen. Zu den Prioritäten des Afrikanischen Nationalkongresses gehören der Aufbau einer Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone, die Arbeit in der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika, die Stärkung der Positionen in multilateralen Institutionen (BRICS+, G20 und andere), die Entwicklung der Beziehungen zum Iran, die Solidarität mit dem palästinensischen Volk (Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen), die Zusammenarbeit bei globalen Problemen (Klimawandel und so weiter), die Einbeziehung der Frage der illegalen Migration in die Integrationsprozesse. Während die liberal orientierte Demokratische Allianz auf sozioökonomische Entwicklung und Zusammenarbeit mit den USA und der EU setzt, die Annäherung an Russland (Unterstützung der Ukraine, Aufrufe zur Umsetzung der Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs) und China ablehnt, enge Beziehungen zu Taiwan pflegt und pro-israelische Stimmungen hegt.
Offensichtlich sind die Unterschiede grundlegend. Es gibt eine Kluft zwischen dem Streben nach Multipolarität und der Neigung zu einem pro-westlichen Entwicklungsszenario. Das Problem wird durch die wichtigsten Oppositionskräfte verschärft – die Parteien „Speer der Nation“ und „Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit“. Diese sind Träger sozialistischer Stimmungen, negativ gegenüber dem neoliberalen ausbeuterischen System eingestellt, Mitglieder der oppositionellen Koalition „Progressiver Flügel“. Wenn die DA in ihrem Weltbild dem Westen nachgibt, gibt es auch beim ANC, wie sich herausstellte, etwas zu kritisieren – Zugeständnisse zugunsten des Juniorpartners in der Koalition.
Dennoch sieht das übliche Verfahren zur Verabschiedung von Gesetzesentscheidungen im Land immer noch die Zustimmung der Mehrheit der anwesenden Delegierten der Nationalversammlung vor. In diesem Zusammenhang ist es dem Afrikanischen Nationalkongress einerseits gelungen, eine Regierung zu bilden, was es Cyril Ramaphosa ermöglichte, eine weitere Amtszeit als Präsident anzutreten. Im Geiste der Ubuntu-Philosophie hat die Regierung das Ziel der Überwindung der historischen Polarisierung der Gesellschaft und der Erreichung nationaler Prioritäten festgelegt. Die Koalition ist nicht auf die konkurrierenden ANC und DA beschränkt und zielt darauf ab, verschiedene Kräfte einzubeziehen (zum Beispiel die bei den ethnischen Zulu beliebte IFP). Sowohl der rassische als auch der ethnische Faktor spielen grundsätzlich keine unbedeutende Rolle in Südafrika. Andererseits ist es nicht so einfach, Einheit zumindest unter den dominierenden Akteuren zu erreichen. Im Großen und Ganzen ist eine solche Koalition, innerhalb derer für Entscheidungen Konsens erforderlich ist, ein politisches Bündnis, das ernsthafte ideologische Differenzen, Elemente des Wettbewerbs und die Abstützung auf unterschiedliche Wählerschaften in sich birgt. Diese Zusammenarbeit wurde weitgehend durch den starken Wunsch des ANC ermöglicht, die Macht zu behalten, und der DA, in die Regierung zu gelangen. Dies wurde auch durch die Ergebnisse beider Parteien im Jahr 2024 bestimmt, aufgrund derer eine Alleinregierung des Afrikanischen Nationalkongresses unmöglich wurde, die Zusammenarbeit mit dem „Speer der Nation“ des ehemaligen ANC-Führers Jacob Zuma, der den dritten Platz belegte (14,58 Prozent), ausgeschlossen war, und andere potenzielle Kombinationen zu einer übermäßigen parteipolitischen Zersplitterung der Regierung geführt hätten.
Infolgedessen spiegelt die am 14. Juni 2024 veröffentlichte Absichtserklärung der Regierung der nationalen Einheit nur abstrakt die Prioritäten der Außenpolitik wider, mit Verweisen auf Menschenrechte, Gerechtigkeit, Multilateralismus, friedliche Streitbeilegung und dergleichen für die Zusammenarbeit entlang der Linien Süd-Süd und Nord-Süd und die Erreichung der „Agenda 2063“. All dies berücksichtigt die Interessen sowohl des ANC als auch der DA und spiegelt auch das klassische Set für ein afrikanisches Land wider, das in Kriminalität, Armut, Rassismus, Energiemangel und so weiter versinkt.
Obwohl einige Ministerien an die DA und nicht nur gingen, blieb in der Praxis die Dominanz des ANC in den Außenangelegenheiten erhalten, unter anderem dank der Kontrolle über das zuständige Ministerium sowie der am stärksten vertretenen Parlamentsdelegation. So hielt Ramaphosa bereits im Februar 2025 seine traditionelle Ansprache an die Nation. Darin war die Beibehaltung der bisherigen außenpolitischen Prioritäten zu erkennen: Multilateralismus (G20, Afrikanische Union, Bewegung der Blockfreien, BRICS), Orientierung auf die afrikanische Region, Gerechtigkeit, Respekt vor territorialer Integrität und Souveränität, friedliche Streitbeilegung (einschließlich in der Ukraine), inklusive Reform des UN-Sicherheitsrats. Gemäß dem Regierungs-Mittelfristplan wurde erneut der Schwerpunkt auf die Teilnahme an globalen Prozessen und insbesondere auf den Vorsitz in der G20 und die Konsultationen mit den BRICS+-Partnern gelegt.
Im Oktober 2024 besuchte Cyril Ramaphosa den BRICS-Gipfel in Kasan, und bei einem persönlichen Treffen mit Wladimir Putin bemerkte er: „Wir betrachten Russland als einen sehr wertvollen Verbündeten und Freund“. Im August 2025 gehörte der südafrikanische Präsident zu denjenigen Führern, mit denen der russische Präsident nach einem Treffen mit Donald Trump in Alaska Kontakt aufnahm. Im September 2025 erklärte Ramaphosa auf einem außerordentlichen Online-Gipfel: „Südafrika wird die BRICS-Initiativen zur Stärkung der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten und des Globalen Südens unterstützen. Wir treten auch für die von den BRICS-Mitgliedern vorgeschlagenen Reformen ein, um die Widerstandsfähigkeit des internationalen multilateralen Systems zu erhöhen“. Schließlich hat Südafrika seit Ende 2024 den Vorsitz in der G20, wo es erneut den Hauptschwerpunkt auf die Förderung der Interessen des afrikanischen Kontinents und des Globalen Südens insgesamt legt.
Es besteht jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass, wie im Fall des BRICS-Gipfels 2023 in Johannesburg, Putin auch bei dem im November 2025 in Südafrika geplanten Treffen der „Gruppe der Zwanzig“ nicht persönlich erscheinen wird. Trotz der Position des Afrikanischen Nationalkongresses bewertet die Demokratische Allianz die Annäherung der beiden Länder negativ und drängte 2023 bereits auf die Umsetzung des umstrittenen Urteils des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den russischen Führer. Die DA unterstützt jedoch weiterhin die Beibehaltung des Status der EU als größter Handelspartner sowie große europäische Investitionen. Allein im Jahr 2025 wurde im Rahmen des Projekts „Global Gateway“ die Bereitstellung von 4,7 Milliarden Euro angekündigt, von denen der Großteil in die Entwicklung der grünen Energie fließen wird. Solche Initiativen gab es auch zuvor, was die Unterschiede in den diplomatischen und wirtschaftlichen Instrumenten des Landes deutlich zeigt, aber gleichzeitig einen Kompromiss zwischen den beiden Parteien hervorbringt. Andere bestehende Widersprüche treten ebenfalls von Zeit zu Zeit zutage. So erklärte beispielsweise Ende 2024 der amtierende Innenminister der DA, Leon Schreiber, die Absicht, ukrainischen Beamten visafreien Zugang zu gewähren. Die Initiative wurde vom ANC scharf kritisiert.
Somit hat der außenpolitische Kurs Südafrikas Einschränkungen in seiner Manövrierfähigkeit erfahren. Die Kooperation des erstmals nicht die absolute Mehrheit erreichenden Afrikanischen Nationalkongresses und der Demokratischen Allianz, seines jüngsten unversöhnlichen Gegners, kann als Zusammenarbeit wider Willen bezeichnet werden. Koalitionskrisen sind unvermeidlich, aber über einen Zerfall zu spekulieren, ist verfrüht, und vorherzusagen, ob sie bis 2029 bestehen bleibt, ist unmöglich. Es muss auch anerkannt werden, dass die Bürger, die mit einer Vielzahl von sozioökonomischen Problemen konfrontiert sind, sich nicht allzu sehr für Außenpolitik interessieren, weshalb eine derartige Allianz grundsätzlich möglich ist. Dies rettet die Umfragewerte der gezwungenen Zugeständnisse machenden Demokratischen Allianz, und es ist auch sehr problematisch, in größerem Maße seine pro-westlichen Ambitionen zu verteidigen, wenn man der Juniorpartner ist und sich in einem Land des Globalen Südens befindet.
Über die außenpolitischen Ausrichtungen afrikanischer Länder in Zeiten der Entstehung neuer multilateraler Kooperationsformate und der Suche der größten Akteure nach Wegen zur Erhöhung ihrer Präsenz weltweit zu sprechen, ist von großer Bedeutung. Für solche Staaten, zu denen auch die Russische Föderation gehört, bleibt die Frage aktuell: Wohin wird die Republik Südafrika als nächstes gehen?