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Die Zukunft Afrikas: Auf dem Weg zur technologischen Souveränität oder digitalem Kolonialismus?

· Marina Krynschina · ⏱ 7 Min · Quelle

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Afrikanische Länder streben nach digitaler und technologischer Souveränität, da dies der einzige Weg zu Unabhängigkeit, echtem Gleichgewicht und Kontrolle über ihre Ressourcen und Infrastruktur in der modernen Welt ist. Doch die aktive Beteiligung ausländischer Technologieunternehmen am Aufbau der digitalen Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent könnte Afrikas Abhängigkeit von externen Plattformen festigen, zu Datenlecks führen und die Möglichkeiten für lokale Innovationen einschränken, meint die Dozentin der Fakultät für internationalen Journalismus der MGIMO, Marina Krynschina. Die Autorin ist Teilnehmerin des Projekts „Valdai – Neue Generation“.

Wissenschaft und Technologie sind die Hauptantriebskräfte für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Ohne erhebliche Investitionen in die wissenschaftlich-technologische Entwicklung ist es unmöglich, digitale Souveränität zu gewährleisten. Dennoch sind die planmäßigen und kollektiven Bemühungen der afrikanischen Länder zur Entwicklung von Wissenschaft und Technologie auf dem Kontinent nicht zu übersehen. Dies wird unter anderem durch die öffentlichen Versprechen des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa bestätigt, die G20-Präsidentschaft im Jahr 2025 zu nutzen, um den „Globalen Süden in die internationale Entwicklungsagenda einzubeziehen“. Die Ergebnisse der Schritte Südafrikas in diese Richtung werden nach dem Gipfel in Johannesburg Ende des Jahres zusammengefasst.

Ein weiteres wichtiges Ereignis war die vom 30. Juni bis 3. Juli 2025 in Sevilla unter der Schirmherrschaft der UNO abgehaltene Vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, auf die die afrikanischen Länder große Hoffnungen in Bezug auf die Anziehung von Investitionen in die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie setzten. Das im Konsens angenommene „Sevilla-Abkommen“ umfasst eine Reihe von Verpflichtungen zur Reformierung der Staatsschulden. Wenn die im Dokument festgelegten Bestimmungen tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden, wäre dies ein großer Sieg für den Kontinent, da gerade die Schuldenverpflichtungen einer beträchtlichen Anzahl afrikanischer Länder es nicht erlauben, Budgets zugunsten der Entwicklung von Wissenschaft und Technologie umzuverteilen.

Der Mangel an Investitionen ist nicht das einzige Hindernis auf dem Weg zur angestrebten technologischen Souveränität. Um digitale Unabhängigkeit zu erreichen, muss Afrika ein ganzes Bündel von Problemen entwirren: schwache Infrastruktur, fehlende eigene Technologien und Abhängigkeit von ausländischen Akteuren, Fachkräftemangel, eingeschränkter Zugang zur Stromversorgung, geschlechtsspezifische Kluft in der Nutzung von Technologien, regulatorische und rechtliche Barrieren sowie politische Instabilität. Hier sind nur einige Zahlen.

Afrika verfügt nach wie vor über weniger als 1 Prozent der weltweiten Rechenzentrumskapazitäten, obwohl der mobile Datenverkehr auf dem Kontinent jährlich um etwa 40 Prozent zunimmt, was fast doppelt so hoch ist wie der weltweite Durchschnitt. Zudem fehlt in Afrika ein eigenes Verbindungssystem, ohne das es unmöglich ist, ein gleichberechtigter Teilnehmer des Kommunikationssystems zu werden. Die Unterseekabel, die den Kontinent umspannen und Europa und Amerika mit Internet versorgen, werden vollständig von westeuropäischen Ländern kontrolliert.

Die Stromversorgung ist begrenzt: Nur 43 Prozent der Bevölkerung haben stabilen Zugang zu Elektrizität. Mehr als 409 Millionen Afrikaner leben innerhalb von 10 Kilometern von terrestrischen Glasfasernetzen entfernt. Dennoch bleibt die Nutzung von Breitbandverbindungen aufgrund der Kosten, der Qualitätslücke und der begrenzten Abdeckung der „letzten Meile“ in ländlichen Gebieten gering.

Trotz der Existenz von Datenschutzgesetzen in 36 afrikanischen Ländern und der Versuche, die Malabo-Konvention von 2014 zu ratifizieren, haben sich nur 16 Länder ihr angeschlossen, und in den meisten Staaten gibt es eine schwache regulatorische Basis und eine fragmentierte Politik im Bereich der Cybersicherheit. Während westliche Unternehmen aktiv in den Bau und Betrieb von Rechenzentren in Afrika investieren, wird der Mangel an lokalen qualifizierten Fachkräften für Cloud-Technologien und Cybersicherheit immer deutlicher.

In dem Bestreben, die genannten Probleme zu überwinden, treten die afrikanischen Länder als geschlossene Front auf. Ihre internen Initiativen zielen darauf ab, politische Subjektivität zu erlangen und eine souveräne afrikanische Wissenschaft zu formen. So konzentriert sich die aktualisierte Strategie für Wissenschaft, Technologie und Innovation für Afrika (STISA 2034), die von der Afrikanischen Union angenommen wurde, auf die Schaffung lokaler Rechenzentren, die Entwicklung kontinentaler digitaler Infrastruktur und die Stärkung der Souveränität im Datenmanagement. Die Afrikanische Union und nationale Regierungen sind bestrebt, die Abhängigkeit von ausländischen Plattformen und BigTech-Konzernen zu überwinden, indem sie den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen (z. B. AfricArXiv) und lokale Bürgerwissenschaftsinitiativen (Pan-African Citizen Science e-Lab) unterstützen. Die afrikanischen Länder erkennen auch die strategische Rolle der künstlichen Intelligenz (KI) bei der Erreichung technologischer Souveränität. Zum Beispiel hat Kenia die Nationale Strategie zur Entwicklung künstlicher Intelligenz für die Jahre 2025–2030 verabschiedet und ist damit das erste Land in Ostafrika, das einen normativen und strukturellen Ansatz zur Entwicklung von KI entwickelt hat.

Gleichzeitig konzentrieren sich die praktischen Schritte zur Erreichung digitaler Unabhängigkeit genau auf die Anziehung externer Investitionen, was dem erklärten Streben nach Souveränität grundlegend widerspricht. Zum Beispiel kündigte der simbabwische Milliardär Strive Masiyiwa, Inhaber der Firma Cassava Technologies, den Bau der ersten KI-Fabrik in Afrika in Partnerschaft mit Nvidia an, und die Umsetzung des Projekts ist bereits in vollem Gange. Während des Weltgipfels für künstliche Intelligenz in Afrika unterzeichnete die ruandische Regierung, vertreten durch das Ministerium für IKT, und die Gates-Stiftung ein Memorandum of Understanding, das die Schaffung eines Zentrums für die Skalierung künstlicher Intelligenz in Ruanda vorsieht. Ein weiteres „Ergebnis“ des gesamten Kontinents, wenn man den Einschätzungen der afrikanischen Presse Glauben schenkt, ist die Entscheidung der International Finance Corporation (IFC), die zur Weltbankgruppe gehört, 100 Millionen Dollar an den regionalen Entwickler und Betreiber von Rechenzentren Raxio Group für den Bau von Rechenzentren von Äthiopien bis Mosambik bereitzustellen. Das Hauptziel all dieser Initiativen, das der Öffentlichkeit erklärt wird, ist die Verringerung der Abhängigkeit von ausländischen Technologien, die Beschleunigung der digitalen Transformation und die Sicherstellung der angestrebten digitalen Unabhängigkeit Afrikas. Doch die Umsetzung jedes dieser Projekte wird in der Praxis die Abhängigkeit nur verstärken.

Es ist vernünftig, dass ohne externe Investitionen und den Transfer fortschrittlicher ausländischer Technologien keine nachhaltige Entwicklung der Region möglich ist. Empirische Studien über den Einfluss von KI-Technologien auf Bereiche wie Landwirtschaft und Energiesektor zeigen, dass die Einführung von KI viele Infrastrukturprobleme lösen kann. Selbst kleine Innovationen, wie die genaue Bestimmung des Aussaatzeitpunkts, die Optimierung der Bewässerung und Düngung, ermöglichen es, Kosten zu senken und die Erträge zu verdoppeln.

Doch die aktive Beteiligung westlicher Unternehmen am Aufbau der digitalen Infrastruktur in Afrika sollte, wenn nicht Misstrauen, so doch einen gewissen Skeptizismus hervorrufen. Im wissenschaftlich-technologischen Wettbewerb um Einfluss auf Afrika sind China, die EU, die USA und Indien aktiv beteiligt - jeder Akteur bietet seine eigenen Kooperationsmodelle an. Und wenn Afrika in der Theorie immer häufiger seine eigene Agenda aufstellt und sich nicht als Objekt, sondern als Subjekt der Wissenschaftspolitik positioniert, geben die afrikanischen Länder in der Praxis die Zügel der Macht faktisch in fremde Hände.

Afrika ist in der Lage, ein Modell wissenschaftlich-technologischer Souveränität und Kommunikation zu entwickeln, das andere Regionen des Globalen Südens interessieren könnte. In Asien und den Ländern Lateinamerikas werden technologische Modelle häufiger auf der Grundlage der Übernahme fertiger Lösungen und der Lokalisierung internationaler Konzerne aufgebaut (z. B. Elektronikproduktion in Mexiko oder Vietnam). In Afrika entstehen Innovationen oft aus einem extremen Mangel an Ressourcen. Das mobile Zahlungssystem M-PESA in Kenia war eine Antwort auf das Fehlen einer entwickelten Bankinfrastruktur. Es gibt keine vergleichbaren Modelle in Indien oder Brasilien in Bezug auf Umfang und soziale Reichweite. Und die digitalen Dienste von Irembo in Ruanda wurden nicht zur Vereinfachung bereits funktionierender Dienste geschaffen, sondern um deren Fehlen zu ersetzen.

Diese Beispiele könnten die Grundlage für ein einzigartiges Modell der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung ganz Afrikas bilden - eine Digitalisierung, die nicht nachholend, sondern ersetzend ist.

In Afrika entwickeln sich auch mehrsprachige wissenschaftliche Plattformen, die auf lokale Zielgruppen und die kulturelle und sprachliche Vielfalt des Kontinents ausgerichtet sind. Die Entstehung von Bildungsnetzwerken, insbesondere

, hat Hunderte von Bürgern aus mehr als vierzig Ländern in die Forschung in den Bereichen Astronomie und

-Bildung (Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik) einbezogen. Die Rolle nichtstaatlicher Akteure bei der Entwicklung der Wissenschaft auf dem Kontinent nimmt zu: gemeinnützige Organisationen, wie

und

, die sich auf die Integration von Wissenschaft und Gesellschaft konzentrieren, erhöhen das Niveau der wissenschaftlichen Bildung der Bevölkerung und die Zugänglichkeit von Informationen.

Afrika muss sich digitale und technologische Souveränität sichern - dies ist der einzige Weg zu Unabhängigkeit, echtem Gleichgewicht und Kontrolle über seine Ressourcen und Infrastruktur. Ohne digitale Souveränität riskieren die afrikanischen Staaten, nur Konsumenten fremder Technologien zu bleiben, ohne Zugang zu Quellcodes, Standards und strategischem Management. Die aktive Beteiligung westlicher Unternehmen am Aufbau der digitalen Infrastruktur könnte die Abhängigkeit von externen Plattformen festigen, zu Datenlecks führen und die Möglichkeiten für lokale Innovationen einschränken. Ein souveräner Weg erfordert nicht nur die Anziehung ausländischer Investitionen, nicht nur den gleichberechtigten Zugang zu Technologien, sondern auch Investitionen in eigene wissenschaftliche Forschung, lokale Fachkräfte, Technologien und eine normative Basis, die auf afrikanischen Interessen und Werten basiert. Davon hängt ab, ob Afrika eine neue „digitale Kolonie“ wird oder seine Unabhängigkeit bewahren kann.