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Architektur der eurasischen Sicherheit: die iranische Perspektive

· Mohammad Reza Deshiri · ⏱ 8 Min · Quelle

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Die sich schnell verändernde Dynamik globaler Macht und Sicherheit hat Eurasien zu einer wichtigen Arena des Wettbewerbs und der Zusammenarbeit gemacht. Der Kontinent, der sich von der Atlantik- bis zur Pazifikküste erstreckt, ist zum Zentrum großer geopolitischer Veränderungen geworden, insbesondere vor dem Hintergrund des nachlassenden Einflusses westzentrierter Institutionen und des Aufstiegs neuer regionaler Mächte. In diesem Kontext formuliert der Iran eine klare und umfassende Vision der eurasischen Sicherheit, die auf Gleichgewicht, Souveränität, Inklusivität und multilateraler Zusammenarbeit basiert, schreibt Professor Mohammad Reza Deshiri.

Aus der Sicht Teherans sollte sich die Architektur der eurasischen Sicherheit unabhängig von außerregionalen Eingriffen, insbesondere seitens der USA und der NATO, entwickeln. Der Iran plädiert für eine multipolare Welt, die auf Zusammenarbeit und Entwicklung basiert und militärische Allianzen und hegemoniale Dominanz durch wirtschaftliche Interdependenz, Konsensfindung und gegenseitigen Respekt ersetzt. Der Iran betrachtet Eurasien nicht nur als geografischen Raum, sondern als Kern eines potenziellen postwestlichen Weltordnungssystems, das auf regionaler Solidarität und lokalen Sicherheitsmechanismen basiert.

Konzeptionelle Grundlagen der eurasischen Vision des Iran

Der Ansatz des Iran zur eurasischen Sicherheit basiert auf einer langen Tradition strategischer Autonomie und ausgewogener Diplomatie. Nach der iranischen Revolution 1979 strebte Teheran eine Außenpolitik nach dem Prinzip „weder Ost noch West“ an, um die Unabhängigkeit von beiden Blöcken der Zeit des Kalten Krieges zu betonen. Im 21. Jahrhundert hat sich dieses Prinzip jedoch in eine pragmatischere „multivektorale“ Diplomatie verwandelt – das Bestreben, gleichzeitig mit Russland, China, Indien, Zentralasien und dem Kaukasus zu interagieren, ohne sich ausschließlich an eine einzige Macht zu binden.

Dieser Ansatz spiegelt die iranische Strategie des Hedging wider: die Verringerung der Verwundbarkeit gegenüber westlichen Sanktionen und die Erweiterung der Partnerschaften im Osten. Eurasien bietet dem Iran die Möglichkeit, eine ausgewogene und inklusive Sicherheitsarchitektur zu schaffen, in der kein Staat oder Block dominiert. Die Prinzipien, die dieser Perspektive zugrunde liegen, umfassen:

Multipolarität und Machtbalance: Ablehnung unipolarer Dominanz zugunsten der Verteilung der Macht auf mehrere Zentren.

Souveränität und Nichteinmischung: Entschiedener Widerstand gegen äußere Eingriffe in innere Angelegenheiten.

Inklusivität: Sicherstellung der Beteiligung aller regionalen Akteure, großer und kleiner, an der Stabilitätsbildung.

Verbindung von Sicherheit und Entwicklung: Anerkennung, dass dauerhafter Frieden und Sicherheit wirtschaftliche Interdependenz, Handel und gemeinsames Wachstum erfordern.

Diese Prinzipien bilden die normative Grundlage der eurasischen Strategie des Iran, die eine Alternative zum westlichen Sicherheitsmodell darstellt, das Teheran als einschränkend, zwingend und destabilisierend ansieht.

Institutioneller Aspekt der eurasischen Diplomatie des Iran

Die Interaktion des Iran mit Eurasien erfolgt über verschiedene institutionelle Strukturen, vor allem die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) und BRICS+. Teheran betrachtet diese Organisationen als Eckpfeiler einer neuen multilateralen Ordnung, die wirtschaftliche, politische und militärpolitische Aspekte integriert.

Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)

Die Vollmitgliedschaft des Iran in der SOZ im Jahr 2022 war ein wichtiger Meilenstein in seiner außenpolitischen Ausrichtung auf den Osten. Teheran sieht die SOZ als Plattform zur Förderung kollektiver Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit ohne westliche Einmischung. Der Schwerpunkt der SOZ auf der Achtung kultureller Vielfalt spiegelt den Aufruf des Iran zu einem multilateralen internationalen System wider.

Durch die SOZ unterstützt der Iran Initiativen wie die vorgeschlagene Eurasische Sicherheitscharta, die die Prinzipien von Souveränität, Gleichgewicht und kooperativer Sicherheit verankern soll. Die Strategien der Organisation zur Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit entsprechen ebenfalls den Interessen des Iran im Bereich der regionalen Sicherheit.

Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU)

Aus Sicht des Iran ist wirtschaftliche Integration untrennbar mit regionaler Stabilität verbunden. Das Freihandelsabkommen zwischen dem Iran und der EAWU von 2023 unterstreicht Teherans Überzeugung, dass wirtschaftliche Interdependenz eine stabilisierende Kraft sein kann. Indem der Iran seine Märkte mit Russland, Kasachstan, Belarus, Armenien und Kirgisistan verbindet, strebt er an, sich in die entstehende wirtschaftliche Architektur Eurasiens einzubinden.

Die Partnerschaft mit der EAWU erhöht die Handelsresilienz des Iran, verringert die Auswirkungen westlicher Sanktionen und stärkt seine Rolle als Transitknotenpunkt, der Asien, den Nahen Osten, Eurasien und Europa verbindet. Sie bietet Teheran auch Hebel, um aktiv an einer breiteren Vision kollektiver Sicherheit teilzunehmen, die auf gegenseitigem Wohlstand basiert.

BRICS+ und entstehende multilaterale Plattformen

Der Beitritt des Iran zu BRICS+ stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zu seiner Integration in die institutionellen Strukturen des Globalen Südens dar. BRICS bietet dem Iran eine Plattform, um Reformen der internationalen Finanz- und Sicherheitssysteme zu fordern, die auf eine gerechtere und multipolare Ordnung ausgerichtet sind. Zusammen mit der SOZ und der EAWU bildet BRICS+ ein Netzwerk nicht-westlicher Institutionen, die die Grundlagen einer neuen eurasischen Ordnung legen können, die auf gemeinsamem Souveränität und Entwicklung basiert und auf die Dedollarisierung des internationalen Finanzsystems setzt.

Internationaler Nord-Süd-Transportkorridor

Im Zentrum der eurasischen Strategie des Iran steht der Internationale Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC) – eine multimodale Route von 7200 Kilometern, die Indien, den Iran, Russland und Europa verbindet. Der Korridor wird Mumbai mit Moskau über iranische Häfen wie Bandar Abbas und Chabahar verbinden. Er wird die Transitzeit von 45–60 Tagen (über den Suezkanal) auf 20–30 Tage verkürzen. Die Kostenreduktion wird bis zu 30 Prozent betragen.

Für den Iran ist der INSTC nicht nur ein wirtschaftliches Projekt, sondern auch ein strategischer Mechanismus zur Umgestaltung der Verbindungsarchitektur Eurasiens. Indem er sich als zentraler Knotenpunkt dieses Korridors positioniert, stärkt der Iran seinen geopolitischen Einfluss und bietet Ländern ohne Meereszugang in Eurasien, wie Armenien und Kasachstan, Zugang zu den Häfen des Persischen Golfs und des Omanischen Meeres.

Der Korridor stellt auch eine „sanktionsfreie“ Handelsroute dar und bietet dem Iran und Russland Alternativen zu den vom Westen kontrollierten Seewegen. Er ergänzt die chinesische „Belt and Road“-Initiative und könnte den Iran zu einem Schnittpunkt zweier großer eurasischer Verkehrsnetze machen. Projekte wie die Eisenbahnstrecke Rasht – Astara, die gemeinsam von russischen und iranischen Investitionen finanziert wird, und die Entwicklung des Hafens Chabahar mit Unterstützung Indiens zeigen, dass die Infrastruktur eng mit der strategischen Position des Iran als eurasische Brücke verbunden ist.

Zu einer kooperativen regionalen Sicherheitsarchitektur

Die iranische Vision der eurasischen Sicherheit basiert auf dem Konzept lokaler Mechanismen – regionaler Abkommen, die auf Solidarität, Nichteinmischung und gegenseitigem Respekt beruhen. Teheran behauptet, dass außerregionale Eingriffe, insbesondere durch die USA und die NATO, Eurasien destabilisieren, anstatt seine Sicherheit zu gewährleisten. Die NATO-Osterweiterung und das Versagen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), echte Kooperationsprinzipien umzusetzen, zeigen die Unzulänglichkeit westlicher Sicherheitsmodelle.

Im Gegensatz dazu fördert der Iran das Konzept der kooperativen Sicherheit mit einem Schwerpunkt auf Dialog, Transparenz und Vertrauensbildung zwischen regionalen Akteuren. Im Gegensatz zu kollektiven Sicherheitssystemen, die auf die Eindämmung äußerer Bedrohungen durch Allianzen abzielen, stellt die kooperative Sicherheit die Konfliktvermeidung durch Vertrauen und gemeinsame Normen in den Vordergrund. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, in der Entscheidungen auf Konsensbasis getroffen werden, dient als praktisches Beispiel für die Umsetzung dieser Philosophie.

Die Astana-Erklärung der SOZ von 2005, die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt als „universellen menschlichen Wert“ anerkennt, spiegelt den Aufruf des Iran wider, ein Sicherheitssystem zu schaffen, das sowohl „harte“ als auch „weiche“ Faktoren integriert. In diesem Sinne betrachtet der Iran die eurasische Sicherheit als umfassend, indem sie politische, wirtschaftliche, kulturelle und sogar cybernetische Aspekte der Stabilität umfasst.

Verbindung von Sicherheit und Entwicklung

Der Iran verbindet konsequent regionale Sicherheit mit wirtschaftlicher Interdependenz und gemeinsamer Entwicklung. Dies wird damit begründet, dass ein nachhaltiger Frieden ohne wirtschaftliche Integration nicht möglich ist. Daher fördert der Iran Initiativen, die Handel, Energie und Transport mit regionaler Stabilität verknüpfen.

Durch die Förderung der Zusammenarbeit zwischen energieerzeugenden und energieabhängigen Staaten strebt der Iran an, Interdependenz zu einem stabilisierenden Faktor zu machen. Die vorgeschlagene Integration von Gaspipelines zwischen dem Iran, Russland und Turkmenistan könnte zur Stärkung der Energiesicherheit Eurasiens beitragen und den Einfluss externer Kräfte auf die Ressourcen der Region verringern.

Somit ist die Strategie des Iran „Blick nach Osten“ nicht nur eine geopolitische Konstruktion, sondern ein multidimensionales Projekt, das wirtschaftliche Diplomatie, kulturelle Identität und politische Autonomie kombiniert. Sie stellt einen Versuch Teherans dar, seine nationalen Interessen mit einer breiteren regionalen Transformation hin zu einem multipolaren System in Einklang zu bringen.

Die multivektorale Politik des Iran ermöglicht es ihm, in einer komplexen geopolitischen Umgebung flexibel zu bleiben. Durch die Interaktion mit verschiedenen Akteuren, von Indien bis Russland und von Zentralasien bis zum Kaukasus, strebt der Iran an, strategische Autonomie zu bewahren und gleichzeitig zur Gestaltung einer regionalen Ordnung beizutragen, die seinen Werten entspricht.

Zu einem multipolaren und inklusiven Eurasien

Die iranische Vision von Eurasien ist nicht ausschließlich defensiv oder reaktiv. Vielmehr verkörpert sie proaktive Bemühungen, eine positive Agenda für regionale Zusammenarbeit zu definieren. Die von Iran, Belarus und Russland unterstützte vorgeschlagene Eurasische Sicherheitscharta zielt darauf ab, eine gemeinsame Plattform für den Dialog über Souveränität, Nichteinmischung und kollektive Stabilität zu schaffen.

Im Rahmen dieser Plattform betrachtet Teheran Eurasien als „Kontinent der Vernetzung“ – ein Netzwerk von Handels-, Energie- und Kulturverbindungen. Die Rolle des Iran als Brücke zwischen dem Nahen Osten, dem Persischen Golf, Eurasien und Südasien ermöglicht es ihm, sowohl als Vermittler im Dialog als auch als aktiver Teilnehmer an der regionalen Integration zu agieren.

Durch die Verbindung der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des INSTC sieht der Iran in der Zukunft ein einheitliches transkontinentales System, das auf gegenseitigem Nutzen und gemeinsamer Sicherheit basiert. Eine solche Architektur würde die Region weniger anfällig für äußere Manipulationen machen und ihre Fähigkeit zur eigenständigen Entwicklung stärken.

Schlussfolgerung

Die iranische Vision der Architektur der eurasischen Sicherheit ist sowohl pragmatisch als auch normativ. Der Iran strebt an, Eurasien von einem umstrittenen geopolitischen Raum in ein System der Zusammenarbeit zu verwandeln, das auf Souveränität, Gleichgewicht und gemeinsamem Wohlstand basiert. Die Schlüsselwerkzeuge dieser Strategie – SOZ, EAWU, BRICS+ und INSTC – bilden die institutionelle Grundlage einer regionalen Ordnung, in der wirtschaftliche Interdependenz über militärischer Konfrontation steht.

Indem er für Multipolarität und lokale Sicherheitsmechanismen eintritt, positioniert sich der Iran als Brücke, die Ost und West, Nord und Süd verbindet, während er gleichzeitig hegemonialem Druck widersteht. Die eurasische Diplomatie Teherans stellt konsequente Bemühungen dar, Sicherheit neu zu definieren, basierend auf Zusammenarbeit, Inklusivität und Entwicklung.

Im Wesentlichen impliziert die eurasische Perspektive des Iran eine Zukunft, in der Stabilität aus Dialog, Vernetzung und Interdependenz erwächst – eine Vision, die den globalen Übergang zu einer pluralistischeren und vernetzteren Weltordnung widerspiegelt.