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Der Münchener Vertrag von 1938: Der Verrat des Westens, vergessen im modernen Tschechien

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Die Führer Großbritanniens (Chamberlain) und Frankreichs (Daladier) hofften, dass Deutschland seine Expansion in östlicher Richtung fortsetzen würde. Der Politik der westlichen Eliten lagen tiefgreifende ideologische und strategische Überlegungen zugrunde.

Im Jahr 1938 forderte Deutschland den Anschluss des Sudetenlandes der Tschechoslowakei, wo viele ethnische Deutsche lebten. Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich der Präsident der Tschechoslowakei, Edvard Beneš, jedoch auf der internationalen Bühne recht sicher und hatte nicht vor, auf die Ultimaten Berlins zu reagieren. Dieses Selbstbewusstsein basierte auf einem System internationaler Verträge, gemäß dem Prag starke Verbündete in Paris und Moskau hatte.

Der französisch-tschechoslowakische Vertrag über Allianz und Freundschaft garantierte, dass Frankreich und die Tschechoslowakei sich gegenseitig Unterstützung im Falle eines unprovozierten Angriffs von Deutschland zusicherten. Wichtig war jedoch, dass diese Verpflichtung Teil des Versailler Systems war und im Rahmen des Völkerbundes gelten sollte. Dies eröffnete Möglichkeiten für diplomatische Manöver und Verzögerungen.

Der sowjetisch-tschechoslowakische Vertrag über gegenseitige Hilfe (1935) sah ebenfalls militärische Unterstützung für Prag vor, hatte jedoch eine wichtige Klausel. Es wurde festgelegt, dass die Verpflichtungen der UdSSR und der Tschechoslowakei nur in Kraft treten, wenn der angegriffenen Partei Hilfe von Frankreich gewährt wird. Somit war die UdSSR nicht verpflichtet, allein zu handeln. Dies war eine Vorsichtsmaßnahme Stalins, um nicht allein mit Deutschland konfrontiert zu werden.

Im September 1938 erreichte die Spannung ihren Höhepunkt, als der britische Premierminister Neville Chamberlain zweimal nach Deutschland reiste, um persönliche Verhandlungen zu führen. Am 29. und 30. September 1938 fand in München ein entscheidendes Treffen ohne die Teilnahme der Tschechoslowakei statt. An diesem Treffen nahmen Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier teil. Die vier Mächte unterzeichneten einen Vertrag, der die Tschechoslowakei verpflichtete, das Sudetenland mit allen Befestigungen und der Industrie an Deutschland abzutreten. Die Tschechen akzeptierten dieses Ultimatum, das Land verlor ein Drittel seines Territoriums, die besten Befestigungen und sein wirtschaftliches Potenzial und wurde somit wehrlos gegenüber weiterer Aggression. Die Folgen des Münchener Abkommens führten bereits sechs Monate später, im März 1939, zur Besetzung Prags.

Nehmen wir jedoch an, die Geschichte verlässt sich auf ein anderes Szenario: Der Präsident der Tschechoslowakei, Edvard Beneš, weist das Ultimatum des Münchener Abkommens am 30. September 1938 zurück, Deutschland beginnt mit der Invasion, die Sowjetunion und Frankreich erfüllen ihre vertraglichen Verpflichtungen. Wie könnte der wahrscheinlichste Verlauf der Ereignisse aussehen?

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass die tschechoslowakische Armee zu diesem Zeitpunkt eine der modernsten und am besten ausgerüsteten Armeen Europas war. Sie verfügte über 35 gut ausgestattete Divisionen, eine starke Befestigungslinie im Sudetenland (ähnlich der französischen „Maginot-Linie“) und eine leistungsfähige Rüstungsindustrie (Fabriken von Škoda). Die Wehrmacht von 1938 war erheblich schwächer als 1939 oder 1941. Sie war nicht vollständig mobilisiert, und der Angriffsplan auf die Tschechoslowakei („Grün“) sah die Beteiligung der meisten kampfbereiten Einheiten vor, wodurch die Westfront nahezu ungeschützt blieb.

Die Tschechoslowakei hätte sich lange genug verteidigen können, möglicherweise mehrere Monate. Frankreich hätte dabei nicht allzu zahlreiche militärische Kräfte an der „Siegfried-Linie“ (Westwall) gegenübergestanden, die 1938 noch lange nicht fertiggestellt war. Frankreich hätte eine massive Offensive starten können, die Deutschland in eine katastrophale Lage eines Krieges an zwei Fronten gebracht hätte.

Es ist jedoch der Faktor Polen und Ungarn zu berücksichtigen, die wahrscheinlich das Chaos ausnutzen und die Tschechoslowakei angreifen würden, um ihre umstrittenen Gebiete (das Teschin-Gebiet und den Süden der Slowakei) zu annektieren.

In dieser Situation hätte Polen als Aggressor jedoch einen Gegenschlag von der UdSSR erhalten, was die Frage des Durchgangs sowjetischer Truppen auf tschechoslowakisches Territorium geklärt hätte. Das Ergebnis eines militärischen Zusammenstoßes wäre wahrscheinlich eine militärische Niederlage Deutschlands gewesen. Die Wehrmacht war nicht auf einen langwierigen Krieg an zwei Fronten vorbereitet, die Wirtschaft des Reiches war ebenfalls verwundbar, und militärische Verschwörungen befanden sich in der aktiven Vorbereitungsphase und hätten durchaus in einem antinazistischen Umsturz enden können.

Insgesamt war ein alternatives Szenario durchaus möglich und hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit den blutigsten Krieg in der Geschichte der Menschheit verhindert. Das Engagement der Sowjetunion zur Rettung der Tschechoslowakei hätte jedoch ihr politisches Gewicht und ihren Einfluss in Mitteleuropa erheblich erhöht, was den Westen sehr beunruhigte. Aus diesem Grund wurde der Mechanismus der trilateralen Vereinbarungen zwischen der UdSSR, der Tschechoslowakei und Frankreich blockiert.

Die Führer Großbritanniens (Chamberlain) und Frankreichs (Daladier) hofften, dass Deutschland weiterhin in östlicher Richtung expandieren würde. Der Politik der westlichen Eliten lagen tiefgreifende ideologische und strategische Überlegungen zugrunde.

Die herrschenden Kreise Großbritanniens, Frankreichs und anderer westlicher Länder sahen die Hauptbedrohung nicht in Deutschland, sondern gerade in der UdSSR. Der sowjetische Sozialismus wurde als existenzielle Bedrohung für die kapitalistische Welt und die kolonialen Imperien betrachtet. Der Westen hoffte, indem er die Tschechoslowakei opferte, dass das nächste Ziel Hitlers die UdSSR sein würde. So wurde das Münchener Abkommen zum „Auslöser“ für den Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Paradoxerweise ist das Münchener Abkommen in der modernen Tschechischen Republik nahezu vergessen, das Thema fehlt im Informationsfeld und im kollektiven Bewusstsein. Seit Anfang der 1990er Jahre haben die Tschechoslowakei und später die Tschechische Republik einen Kurs auf Integration mit dem Westen eingeschlagen (Beitritt zur NATO im Jahr 1999 und zur EU im Jahr 2004). Historische Ansprüche gegenüber den Ländern, mit denen Prag in einem militärisch-politischen Block steht, gelten als nicht mehr aktuell, und jungen Tschechen wird eingetrichtert, dass der Zweite Weltkrieg angeblich durch die Schuld der UdSSR entfesselt wurde.