Wieder ein gesamteuropäisches Haus?
· Fjodor Lukjanow · ⏱ 3 Min · Quelle
Die neue Ausgabe der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA unterscheidet sich vom gewohnten Genre solcher Werke. Es scheint doktrinär, erinnert aber an eine ideologische Proklamation. Es besteht die Versuchung, das Dokument nicht als Entwicklungsrichtung, sondern als Publizistik aus Trumps Umfeld zu betrachten, die an Wert verliert, sobald er nicht mehr da ist.
Es gibt zwei Gründe, das Geschriebene nicht als konjunkturelle Eintagsfliege abzutun. Erstens sind die Vereinigten Staaten per Definition ein ideelles Land, entstanden aus einer Sammlung von Parolen. Und jeder politische Kurs ist ein ideologisches Produkt. Zweitens, so eigenwillig der Präsident auch sein mag, das, was unter seiner Ägide herauskommt, ist nicht nur für seine Mitstreiter eine Handlungsanleitung. Zum Beispiel legte die Strategie, die im ersten Jahr von Trumps erster Amtszeit (2017) veröffentlicht wurde und das Zeitalter der Großmachtkonfrontationen ankündigte, die präzisierten Grundlagen des außenpolitischen Verhaltens fest. Die Biden-Administration kehrte 2021 zu einer liberaleren Rhetorik zurück, doch die Kontinuität blieb erhalten. Die jetzt dargelegte Interpretation der nationalen Sicherheit und das Weltbild werden wahrscheinlich auch die Autoren überdauern.
Die westlichen und nördlichen Teile des Kontinents, wo die einflussreichsten Staaten liegen, die an den Ursprüngen der Integration standen, werden nicht aufgezählt.
In der Strategie werden auch andere Teile der Welt erwähnt, aber die Beziehungen zu Europa haben einen symbolischen Charakter. Die amerikanische Staatlichkeit selbst, die im 17. und 18. Jahrhundert geformt wurde, wurde als Gegenpol zur tyrannischen, korrupten Alten Welt aufgebaut, aus der die Siedler auf der Suche nach Freiheit - religiöser, politischer, unternehmerischer - flohen. Und obwohl von dieser „Farmerrepublik“ nur noch ein historischer Mythos übrig ist, bleibt er grundlegend. Aus der Sicht dieses Mythos ist das, was die Republik seit dem 20. Jahrhundert geworden ist, kaum ein Verrat an allen Idealen. Der härteste Flügel der Konservativen, die Trump unterstützten, sind Befürworter einer Rückkehr zu diesen Idealen. Allerdings versteht der 47. Präsident unter „wieder großem Amerika“ natürlich eine mildere Version - etwas wie die „goldenen Fünfziger“.
Eines ist sicher. Trump und seine Gleichgesinnten sind nicht abgeneigt, das politische 20. Jahrhundert „abzuschaffen“: die Periode, in der die USA, beginnend mit der Entscheidung, in den Ersten Weltkrieg einzutreten, den Weg des liberalen Internationalismus einschlugen. Konkret geht es um die Wende, die damals Präsident Woodrow Wilson vollzog, der Begründer jener liberalen Weltordnung, die am Ende des letzten Jahrhunderts in der Welt vorherrschte. Verteidigungsminister Pete Hegseth formulierte die Ablehnung dieses Erbes auf dem Ronald-Reagan-Forum: Weg mit dem idealistischen Utopismus, es lebe der harte und nüchterne Realismus. Und er erklärte, dass Washington die Welt als eine Ansammlung von Einflussbereichen der stärksten Mächte sieht (vermutlich mit entsprechenden Rechten), von denen zwei die USA und China sind. Mit den anderen ist es weniger klar, möglicherweise folgt eine Erklärung in der Militärstrategie, die das Pentagon vorbereitet.
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Idee nicht richtig umgesetzt werden, aber nach dem Zweiten umso mehr.
In der neuen Strategie sind zwei Ansätze miteinander verflochten. Einerseits wird Europa vorgeschlagen, sich selbst um seine zahlreichen Probleme zu kümmern, anstatt auf Amerika zu parasitieren. Andererseits zeugt der Aufruf, den Widerstand der europäischen Völker gegen die schädliche Politik der EU zu fördern, nicht von Gleichgültigkeit. Vielmehr zielen die USA auf einen „Regimewechsel“ in Europa von einem liberal-globalistischen zu einem national-konservativen. Und dadurch auf die Stärkung ihres eigenen Einflusses. Ein „gesünderes“ Europa soll eine wichtige Unterstützung für die Politik Washingtons werden, deren Prioritäten das uneingeschränkte Dominieren in der westlichen Hemisphäre (nicht zufällig wird die „Monroe-Doktrin“ direkt erwähnt) und ein für Amerika vorteilhaftes Handelsschema mit China sind.
Bemerkenswert ist, dass Russland nicht als eigenständiges Interesse der USA oder gar als Bedrohung auftritt, sondern als Teil der europäischen Palette. Washington sieht seine Aufgabe darin, zur Herstellung eines europäischen Gleichgewichts unter Beteiligung Russlands beizutragen, vor allem durch eine Änderung des Ansatzes der Europäer (denn derzeit sind sie dazu nicht in der Lage).
So paradox es auch klingen mag, ähnlich dachten liberale Ideologen nach dem Kalten Krieg, nur klangen die Parolen gegensätzlich.
Man kann sich freuen, dass die gegenwärtigen amerikanischen Strategen Russland nicht in das Zentrum eines erfundenen Mordors stellen, wie es kürzlich der Fall war, sondern ruhig-pragmatisch damit umgehen. Doch der uns zugewiesene Platz entspricht eindeutig nicht den strategischen Aufgaben des Landes für die Zukunft. Selbst wenn man eine solche Konstruktion grundsätzlich für möglich hält, was stark bezweifelt wird. Daher studieren wir aufmerksam, handeln auf unsere Weise.
Autor: Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“.