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Europäische Sicherheit als Familiendrama

· Gleb Kusnezow · ⏱ 3 Min · Quelle

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Der veröffentlichte Bericht „Global Risks to the EU 2026“ sollte als strategisches Dokument gelesen werden. Dreißig Bedrohungen, Risikomatrix, Fünf-Punkte-Skalen.

Unter dieser Verpackung verbirgt sich jedoch eine ganz andere Struktur. Keine Geopolitik, sondern eine familiäre Psychodrama. Ein Roman über die Weigerung, erwachsen zu werden, und die kindliche Angst vor einer riesigen, unverständlichen Welt.

Mutter und ihre Pflichten

Amerika in dieser Konstruktion ist die Mutter. Kein Verbündeter mit eigenen Interessen, kein Partner für Verhandlungen, sondern ein Elternteil, der einfach deshalb schützen muss, weil er ein Elternteil ist. Die Mutter füttert, die Mutter löst Probleme, die Mutter vertreibt das Schreckliche. Das wird nicht diskutiert - das ist eine Gegebenheit, wie für ein Kind die Gegebenheit, dass das Essen auf dem Tisch erscheint. Wenn die Mutter sagt „ich habe andere Dinge zu tun“ - ist das keine Information zum Nachdenken. Das ist Verrat. Die Mutter wird schlecht. Nicht „die Mutter ist müde“, nicht „die Mutter hat ihre eigenen Probleme“ - sondern genau schlecht, böse, gefährlich. Der Rückzug der USA von Sicherheitsgarantien im Dokument - eine Bedrohung von derselben Größenordnung wie der Einsatz von Atomwaffen durch Russland. Wörtlich: Eine Mutter, die nicht schützen will, ist genauso furchterregend wie eine nukleare Explosion.

Das Auftauchen des Stiefvaters

Trump ist der Stiefvater. Er hat dieses Kind nicht gewählt, fühlt sich nicht verpflichtet, hat nicht vor, sich als liebender Vater auszugeben. Er sagt es direkt: Willst du in meinem Haus leben - benehme dich anständig, willst du Schutz - leiste deinen Beitrag zum Familienleben. Das ist grob, das bricht das gewohnte Weltbild. Aber das ist die Position eines Erwachsenen. Wenn auch eines unangenehmen, wenn auch eines fremden - aber eines Erwachsenen, der sagt, wie es ist. Und das Kind verlangt, dass der Stiefvater sofort ein guter Vater wird. Dass er liebt, schützt, nichts im Gegenzug verlangt. Oder dass die Mutter sich scheiden lässt und „alles so bleibt, wie es war“. Der Stiefvater weigert sich - Hysterie. Schlecht! Du bist schlimmer als der Babajka!

Das Phänomen Babajka

Der Babajka lebt unter dem Bett. Man muss ihn nicht sehen, nicht überprüfen - es reicht zu wissen, dass er da ist. Die Überprüfung ist schlimmer als der Babajka. Was, wenn da wirklich etwas ist? Oder, im Gegenteil, nichts. Sowohl das Vorhandensein einer realen Bedrohung als auch ihr nachgewiesenes Fehlen sind gleichermaßen zerstörerisch. Besser, die Mutter vertreibt ihn, ohne nachzusehen. Russland im Dokument - der klassische Babajka. Kein Staat mit Armee, Wirtschaft, Logistik, Einschränkungen. Kein Akteur, dessen Möglichkeiten man bewerten und vorhersagen kann, basierend auf der Bewertung von Ressourcen. Eine irrationale Kraft des Bösen, die einfach deshalb fressen will, weil sie böse ist. „Russland wird nach dem Krieg sofort die NATO-Staaten angreifen“ - Axiom des Dokuments. Fragen werden nicht gestellt. Der Babajka wird nicht analysiert - man fürchtet ihn. Der Versuch einer rationalen Analyse - bereits Verrat, bereits „Agent des Babajka“. Oder der Dienst des Schurken-Stiefvaters.

Die Welt als Bedrohung

In der kindlichen Vorstellung ist die Welt riesig, unerkennbar und sehr beängstigend. Jenseits des Zimmers - Unbekanntes. Der einzige Schutz - die Mutter, die weiß, wie die Welt funktioniert, und vor allem Schlechten schützt. Das Ende des Krieges im Dokument - eine Bedrohung. Nicht, weil die Welt an sich schlecht ist, sondern weil die Welt - Unbekanntes ist. Der Krieg ist verständlich: Es gibt einen Feind, es gibt eine Mutter mit Waffen, es gibt Rollen. Die Welt - das ist ein offener Raum, in dem man selbst handeln muss. Besser, der Krieg geht weiter - so ist es vertrauter.

Das einzige Instrument

Wenn die Mutter nicht gehorcht, wenn der Stiefvater grob ist, wenn der Babajka nicht verschwindet - was macht das Kind? Es fällt auf den Boden und weint. Laut, demonstrativ, für die Öffentlichkeit. Keine Argumente, kein Handel, keine Aktion - reine Emotion, die Mitleid und Schuldgefühle hervorrufen soll. Der gesamte öffentliche Diskurs Europas über Sicherheit wird im Dokument so beschrieben. Moralische Erpressung statt Strategie. Demonstration von nicht existierendem Leiden statt Subjektivität. Wollt ihr, dass wir gefressen werden? Seid ihr für den Babajka?

Erwachsenwerden in dieser Konstruktion ist unmöglich. Es wird nicht einmal diskutiert. Die Frage ist nicht „wie werden wir erwachsen“, sondern „wie bekommen wir die gute Mutter zurück“ mit der Möglichkeit der Manipulation durch den Babajka, dessen (Nicht-)Existenz nicht einmal mehr eine Bedrohung, sondern ein Instrument zur Erreichung von Nähe zu den „Älteren“ wird.

Gleb Kusnezow, Politologe.