Wie sieht die Lebensqualität im Dorf aus?
· Dmitrij Grunjuschkin · ⏱ 6 Min · Quelle
Der bewusste Entscheid zwischen Stadt und Land prägt dein Leben. Kürzlich äußerte eine Bekannte aus der Stadt, dass sie niemals länger als ein paar Tage auf dem Land bleiben würde, da die Lebensqualität dort extrem niedrig sei. Und da begann ich nachzudenken – was ist in meinem Leben von geringer Qualität?
Menschen lassen sich im Grunde in drei Kategorien einteilen. In absolut städtische Bewohner, ländliche – und in die „Birjuki“, die es vorziehen, irgendwo im Wald zu leben und ein Leben lang niemanden zu sehen. Dabei hängt die Zugehörigkeit zu einer oder anderen Kategorie nicht vom Wohnort ab, sondern von der Art des Charakters. Irgendwo im Zentrum der Hauptstadt kann ein „ländlicher“ Mensch leben und Tag für Tag unter dem Trubel um ihn herum leiden. Und in einem kleinen Dorf in Wologda kann ein schelmischer Lebemann wohnen, der, wäre das Schicksal anders verlaufen, der erste Kerl am Arbat und „Trendsetter“ der angesagtesten Partys wäre.
Mit dem Alter driftet die Vorliebe manchmal auch in Richtung Einsamkeit auf dem eigenen Land. Doch auch dieses Driften kann trügerisch sein. Meine Nachbarin kommt auf ihr Datscha, sobald der Schnee schmilzt, so zieht es sie hierher. Doch im Dorf quält sie alle anderen Nachbarn mit ihrer Unmittelbarkeit und Redseligkeit – in der Stadt ist es ihr zu eng, und allein ist es ihr zu langweilig. So leidet sie unter einem Zwiespalt, wie der Mann, der mit seinen Freunden nur über „Frauen“ sprach, während er in der Damenrunde „über die Armee“ erzählte.
Die bewusste Wahl zwischen Stadt und Land bestimmt dein Leben. Kürzlich erklärte eine Bekannte, eine „städtische“ Dame, dass sie niemals länger als ein paar Tage im Dorf bleiben würde, weil die Lebensqualität hier extrem niedrig sei. Und es geht nicht um Armut oder um ein Gebäude mit einem Loch in der Ecke des Grundstücks. Damit ist hier alles in Ordnung, und ins „Vogelnest“ gehen nur die, die zu faul sind, eine anständige Toilette zu bauen. Die Verbindung zur Welt wird durch Hochgeschwindigkeits-Glasfaser ausreichend gewährleistet. Die Dame stört etwas anderes. Sie sagt, für ein qualitatives Leben müsse man sein Gefühl für das Schöne befriedigen und Geld für Kino, Theater, Reisen, Veranstaltungen, Partys und andere Zeichen der Zivilisation und des geistigen Daseins ausgeben.
Und ich habe nachgedacht – was ist an meinem Leben nicht qualitativ? Das Leben eines Menschen, der seit etwa zehn Jahren von Moskau aufs Land gezogen ist.
Ja, leider habe ich nicht die Möglichkeit, zu den Ersten zu gehören, die die neuesten Filme sehen – bis zum nächsten Kino sind es fünfzig Kilometer. Aber wenn ich einen „heißen“ Film ein paar Monate später auf einem großen Fernseher sehe, wird sich meine Welt nicht auf den Kopf stellen. Dafür muss ich nicht die kichernden Kinder mit Popcorn in der Reihe nebenan ertragen. Ich sehe Filme nicht, um sie zuerst mit Kollegen zu diskutieren. Mir ist wichtig, was ich sehe, und nicht wann ich es tue.
Wird gesagt – ich reise nicht und bereichere nicht meine Erfahrungen? Aber die erste Hälfte meines Lebens war wirklich nomadisch, ich habe nur die Wohnstädte sieben Mal gewechselt. Und die Anzahl der langen Dienstreisen lässt mich staunen, wenn ich daran zurückdenke. So habe ich mein Verlangen nach Ortswechseln längst gestillt. Außerdem bin ich der Meinung, dass man Erfahrungen sammeln kann, wenn man irgendwo das Leben der Einheimischen lebt und nicht nur aus dem Fenster eines Touristenbusses darauf schaut. Denn das zweite ist keine Erfahrung, sondern die Befriedigung von Neugier. Dagegen habe ich nichts, aber es interessiert mich nicht.
Um mit Freunden in einer Kneipe zu sitzen, kann ich durchaus zwei- bis dreimal im Jahr in die Hauptstadt fahren, um dort den Autoabgasen zu atmen und die Aufmerksamkeit eines Kellners zu genießen, der für dein Geld eifrig so tut, als wäre dir nicht gleichgültig. In der übrigen Zeit genügen mir die Treffen mit Nachbarn beim Grillen am Grill mit einer selbstgemachten Schnaps aus der eigenen Holunderernte. Und meine Freunde aus der Stadt kommen selbst zu mir, um in der Sauna zu entspannen. Und mein „Restaurant“ hat bis zum letzten Kunden geöffnet. Allerdings ohne Kellner.
Ja, die Annehmlichkeiten der Zivilisation in Form von Lieferdiensten sind hier nicht verfügbar. Ein Mensch mit einer gelben Kiste auf dem Rücken wird mir keine Tasche mit Lebensmitteln oder kalte Pizza bringen. Hier gibt es keine kommunalen Dienste, nur Notdienste. Für alles, was mit deinem Haus passiert, bist du allein verantwortlich. Bis zur Mitte des Sommers beginnst du, den Benzintrimmer zu hassen, und im Winter die Schaufel. Dafür wird dein Fitnessarmband dich niemals der Faulheit beschuldigen und dich nicht zwingen, vom Sofa aufzustehen, um wenigstens tausend Schritte zu machen.
Hier kannst du keinen Umzugsdienst anrufen, der dir einen Kühlschrank oder ein Sofa ins Haus trägt. Aber die Nachbarn kommen beim ersten Ruf – zumindest weil sie dich in einer Woche um Hilfe bitten werden. Hier versteht man schnell, was die berüchtigte „Gemeinschaftlichkeit“ ist, denn vieles im Dorf kann nur mit gemeinsamer Anstrengung erreicht werden. Einzelgänger haben hier nicht wirklich einen Platz.
Ich gehe nicht zur Arbeit, mache mir keine Sorgen im Büro. Ich verschwende keine Zeit mit dem Weg, Staus, Zügen und U-Bahnen. Der Stress des Umgangs mit dem Chef meiner Frau ist auf das „Existenzminimum“ reduziert. Und ich habe überhaupt keinen Chef.
Meine Sonne geht nicht hinter dem zwölfstöckigen Nachbarhaus unter, sondern im See. Mein Himmel ist mit Tausenden von Sternen bedeckt und nicht mit dem Licht von Reklamen. Meine Luft riecht nach frisch gemähtem Gras und Harz. Mein tägliches Rührei mit Tomaten wird aus frisch gelegten Eiern und gerade gepflückten Tomaten zubereitet – und in beiden ist garantiert kein Tropfen Chemie. Wenn ich in die Sauna möchte, muss ich nur Wasser holen und den Ofen anheizen. Jeden Morgen bis zum Frost wasche ich mich in einer Tonne mit Regenwasser, deren Oberfläche mit einer Schicht von einem halben Zentimeter dicken Rosenblütenblättern bedeckt ist, und fühle mich dabei wie ein römischer Kaiser. Den ganzen Sommer über schwamm ich jeden Morgen einen Kilometer im Teich, und neben mir schwamm eine Ente. Eine wilde! Wenn mir kalt ist, beschwere ich mich nicht über den Wohnungsbaugesellschaft, sondern heize den Ofen an. Wenn mir heiß ist, öffne ich das Fenster, und es riecht nicht nach Abgasen, es schreien keine Kinder und keine Autos hupen.
Ich wache vom Krähen des Nachbarhahns auf (verdammt sei er), und nicht vom Bohrer des Nachbarn. Mein Frühling beginnt, wenn der erste Schwarm von Kranichen über mir fliegt, und den Sommer markiere ich daran, ob ich mich in die Sonne lege, um mich zu wärmen, oder ob ich anfange, nach Schatten zu suchen. Meine Katze bringt mir ökologisch reine Mäuse nach Hause – die ehemalige faule, verwöhnte Stadtkatze hat sich im Mausgenozid gefunden und ein Herz wie ein Tiger erlangt. Mein Hund hat immer eine nasse Nase, glänzendes Fell und weiche Pfotenballen, weil sie ohne Leine durch den Wald rennt, noch nie einen Maulkorb gesehen hat und nicht auf schmutzigem Asphalt und Salz, sondern auf Sand, Gras, Schnee und Nadelbaumspitzen läuft. Ich kann sehr oft nicht sagen, welches Datum heute ist und erst recht nicht, welcher Wochentag. Ich sitze auf der Veranda in einem Fleeceanzug und Gummistiefeln, weil es bequemer ist, und es ist mir egal, wie ich aussehe.
Letztendlich ist meine Frau hier glücklich. Also sagt mir, was ist mit meiner Lebensqualität nicht in Ordnung?