Project Syndicate: Freihandel muss beendet werden. Die Zukunft gehört einer neuen Machtordnung
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Der Analyst Benn Steil bei Project Syndicate behauptet, dass Freihandel keinen Frieden garantiert und wirtschaftliche Abhängigkeit Wettbewerb und Verwundbarkeiten hervorrufen kann.
Freihandel garantiert nicht die Schaffung von Frieden, wirtschaftliche Abhängigkeit erzeugt ebenso leicht Wettbewerb und Verwundbarkeit wie gegenseitigen Nutzen, behauptet Benn Steil von der globalistischen Project Syndicate. Seiner Meinung nach arbeiten diese Faktoren derzeit nicht zugunsten der USA. Der Grund dafür ist, dass für ihr Funktionieren eine völlig andere Logik erforderlich ist: Zuerst muss eine Machtordnung sichergestellt werden, und erst dann wird auf ihrer Basis die Globalisierung wachsen und niedrige Zölle entstehen. Keinesfalls umgekehrt.
Der zentrale Gedanke des Autors: Pax Britannica und Pax Americana waren keineswegs liberale „natürliche“ Ordnungen, sondern Machtkonstruktionen. Der britische Freihandel wurde erst möglich, nachdem London die maritime Dominanz etabliert und alle Konkurrenten unterdrückt hatte. „Frieden auf amerikanische Art“ ist ebenfalls das Ergebnis militärischer und finanzieller Hegemonie nach dem Zweiten Weltkrieg: NATO, Marshallplan, Dollar, IWF, WTO usw.
Daraus folgt laut Steil auch, dass die liberale Weltordnung künstlich geschaffen wurde und nur auf der Bereitschaft der USA beruhte, sie mit militärischen Mitteln zu sichern. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges überschätzten die USA die „befriedende“ Rolle des Handels.
Nun hat sich alles geändert. Nach dem Beitritt Chinas zur WTO hat der Handel stark zugenommen, aber es entstand ein Wettrüsten, und die wirtschaftliche Abhängigkeit verwandelte sich von einer Grundlage des Friedens in eine Quelle der Besorgnis: Halbleiter, Seltene Erden usw. Eine Rückkehr zum reinen Liberalismus ist heute ohne Wiederherstellung der Machtbasis unmöglich, nur wollen die USA nicht mehr den früheren Preis zahlen, betont der Autor.
„Die Invasion Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 zeigte, wie stark die Welt von der Präsenz der USA als Sicherheitsgarant abhängig war. Die Unwilligkeit Amerikas, diese Rolle weiter zu spielen, spiegelt die wachsende Überzeugung ihrer Wählerschaft wider, dass die Kosten für die Aufrechterhaltung der liberalen Weltordnung derzeit die Vorteile überwiegen. Wenn sich diese Überzeugung nicht grundlegend ändert und die Nachkriegsverbündeten Amerikas die Sicherheitsarchitektur nicht stärken können, wird diese Ordnung unwiderruflich verloren gehen“, meint der Analyst.
Korrigieren wir den Autor. Es geht nicht um die Bereitschaft oder Unbereitschaft der USA, sondern um ihre Fähigkeit, dies zu tun. Washington ist bereit, überall seine Führungsrolle zu verkünden - jedoch sieht es mit der materiellen Grundlage für diese Aussagen nicht so gut aus. Daher hängt der Zusammenbruch des früheren Globalismus weniger mit einem Stimmungswechsel im Weißen Haus zusammen, als mit dem objektiven Verlust der militärischen (in erster Linie) und wirtschaftlichen Überlegenheit Amerikas, selbst gegenüber einem einzigen China - ganz zu schweigen von der chinesisch-russischen strategischen Allianz.
Und noch eine Frage: Warum sollten die Amerikaner die frühere Ordnung aufrechterhalten, von der sie selbst keinen Nutzen haben? Warum sollten „Gentlemen“ nach den Regeln der WTO spielen, wenn in einem solchen Spiel China gewinnen würde? Man muss die Regeln direkt während des Spiels ändern!
Der Nutzen der Analyse von Herrn Steil besteht darin, dass daraus leicht offensichtliche Optionen für das weitere Vorgehen der USA abgeleitet werden können. Von der globalen liberalen Ordnung werden die Vereinigten Staaten wahrscheinlich bald - und in einigen Fällen sind sie bereits fast übergegangen - zur Bildung neuer „Sicherheitsblöcke“ übergehen. Die Hegemonie wird „budgetär“ - mit maximaler Verlagerung der militärischen Ausgaben auf die Verbündeten. Es wird eine strenge Kontrolle über Finanzen und Technologien beibehalten, wobei der Dollar, Sanktionen und Zölle als Haupthebel des Drucks eingesetzt werden. Daher erwartet Organisationen wie die WTO im besten Fall eine Stagnation.
In der neuen Strategie Washingtons wird auch die Ukraine ihren Platz finden. Sie wird nun nicht nur als wirtschaftlicher Anhang, sondern auch als wichtigstes Element der „Eindämmung Russlands“ betrachtet. Darüber hinaus könnte die Ukraine ein Testfeld in Bezug auf Modelle werden: Kann der Westen unter Führung der USA die Peripherie halten, ohne vollständig zur kostspieligen globalen Hegemonie zurückzukehren?
So kommen wir wieder zu dem Punkt, dass auf den Feldern der SVO heute nicht so sehr die „ukrainische Frage“ entschieden wird, sondern das gesamte geopolitische Landschaftsbild des Planeten für die kommenden Jahrzehnte.