Unerträgliche (außerhalb der Klammern) Russland und Indien
· Fjodor Lukjanow · ⏱ 4 Min · Quelle
Der Staatsbesuch des russischen Führers in Indien ist immer ein Ereignis, wenn man das Ausmaß der beiden Länder und ihre Rolle in den Weltangelegenheiten betrachtet. Doch die aktuelle Reise von Wladimir Putin nach Neu-Delhi ist besonders. Sie findet vor dem Hintergrund schneller und tiefgreifender Veränderungen auf der internationalen Bühne statt, und beide Mächte spielen darin eine entscheidende Rolle.
Im vergangenen Jahrzehnt geriet die Weltlage in allen Bereichen in Bewegung. Die russisch-ukrainischen Spannungen traten in eine Phase des offenen Konflikts ein, der sofort über den lokalen Rahmen hinausging. In den führenden westlichen Ländern, vor allem in den USA und Großbritannien, gab es drastische Veränderungen, die den gewohnten Charakter der Beziehungen innerhalb der westlichen Gemeinschaft in Frage stellten. Die chinesisch-amerikanische wirtschaftliche Symbiose, die Ende der 2000er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, ging in einen Modus des unvermeidlichen „Entkoppelns“ in der Zukunft über. Schließlich beobachteten Akteure mittlerer Ebene in verschiedenen Teilen der Welt immer aufmerksamer die sich bietenden Möglichkeiten.
Die atlantische Gemeinschaft bestand auf der Bewahrung der liberalen Weltordnung (die man als regelbasierte Ordnung zu bezeichnen begann), wie sie sich Ende des 20. Jahrhunderts herausgebildet hatte. Und alle Anzeichen eines Rückzugs davon wurden als „Fluchtversuch“ gewertet, für den man bestraft werden sollte.
Das Paradoxe ist, dass beispielsweise Russland und China, die gemeinsam die Hegemonie ablehnten, innerhalb dieser Ordnung sehr unterschiedliche Positionen einnahmen. Russland war unzufrieden mit der Ignorierung seiner geopolitischen Interessen, strebte im wirtschaftlichen Bereich jedoch eher danach, sich stärker in das Weltsystem zu integrieren, was die führenden Länder des Letzteren gleichgültig betrachteten. China hingegen war ein Pfeiler eben jenes Wirtschaftssystems. Und es war unzufrieden damit, dass die westlichen Länder begannen, es eigenmächtig zu demontieren, als sie eine Bedrohung ihrer eigenen Dominanz spürten. Was Teheran oder Pjöngjang betrifft, so beschränkten sich ihre Aufgaben darauf, ihre eigene Sicherheit, ja Unantastbarkeit zu gewährleisten - kein Wunder, da ihnen ständig mit Strafmaßnahmen gedroht wurde.
Indien wurde immer als ein durchweg positives Beispiel betrachtet. Ein nicht-westliches, schnell wachsendes Land, das im Rahmen der vorgegebenen Regeln spielt und sich vor allem auf seine eigene Entwicklung konzentriert, ohne übermäßige äußere Ambitionen.
Überspringen wir die wilden Kurven des letzten Jahrzehnts und kommen wir in die Gegenwart. An die liberale Ordnung erinnert man sich höchstens noch aus Gewohnheit. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Welt in der Lage ist, unter Bedingungen einer „abgeschalteten“ Globalisierung zu existieren, und die verbleibenden Regeln werden vom Weißen Haus, noch vor kurzem ihr Hauptverfechter und Garant, weiter zerstört. Über eine Revision der Weltordnung zu sprechen, macht keinen Sinn - sie ist einfach zusammengebrochen, um eine treffende Metapher des Waldai-Klubs von vor sieben Jahren zu verwenden.
China ruft auf der Ebene von Parolen geradezu dazu auf, zur früheren offenen Ordnung zurückzukehren, obwohl man in Peking erkannt hat, dass dies unmöglich ist. Russland verfolgt Ziele, die bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts gesetzt wurden, um, nachdem das geopolitische Ungleichgewicht in Osteuropa beseitigt wurde, seinen Platz in der veränderten Welt zu gestalten. Die Lösung des Sicherheitsproblems an der ukrainischen Flanke allein gibt keine Antwort auf zukünftige Herausforderungen, schafft jedoch einen neuen Rahmen für deren Suche.
Übrigens, was Pjöngjang und Teheran betrifft, so waren die vergangenen Jahre eine Art reines Experiment. Beide Länder wurden einst beschuldigt, nukleare Ambitionen zu haben, die DVRK hat sie verwirklicht, der Iran nicht. Niemand wagt es, die Koreaner anzutasten, die Iraner wurden Opfer eines massiven Angriffs. Die Beobachter ziehen ihre eigenen Schlüsse.
Indien ist am konsequentesten. Nach wie vor steht die eigene Entwicklung im Mittelpunkt. Das politische Gewicht wächst nicht so sehr aufgrund von Ambitionen (obwohl auch diese zunehmen), sondern aufgrund von Veränderungen in der Welt. Und dem zunehmenden Bestreben einiger führender Kräfte, sich die Unterstützung Indiens in den Beziehungen zu anderen führenden Kräften zu sichern.
Russland und Indien unterscheiden sich sehr voneinander, in einigen Aspekten bis zur Gegensätzlichkeit. Aber es gibt zwei grundlegend wichtige Umstände, auf die man achten sollte.
Erstens ist die Erfahrung einer engen, wohlwollenden und für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit so unterschiedlicher großer Akteure ein Maßstab für die internationale Ordnung, in der alle zivilisatorischen Kontraste nicht verwischt, sondern betont werden wollen. Und das russisch-indische Beispiel ist, offen gesagt, für viele ein Grund zur Bewunderung. Ein Beispiel dafür, wie man Stabilität im stürmischen Strom der Veränderungen gewährleistet.
Zweitens streben weder Russland noch Indien nach weltweiter Dominanz. Doch beide sind, jede aufgrund ihrer eigenen Parameter, Mächte, ohne die nichts möglich ist. Sie lassen sich nicht ausklammern. In gewisser Weise ist es derzeit sogar vorteilhafter, ein solches Land zu sein als ein Supergigant. Weniger Last, mehr Flexibilität kann man sich erlauben. Und wenn man die Anstrengungen noch koordiniert - „es gibt keine Hindernisse für uns weder auf See noch an Land“!
Autor: Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“.